Walter Rohdich

Leben aus zweiter Hand

Protokoll einer Neuansiedlung von Amphipien und Lurchen in einem Gartenteich

 

 

Immer wieder hörte ich in den letzten Jahren von "riesigen Erfolgen" bei der Anlage künstlicher Gartenteiche in Siedlungen und stadtnahen Gärten. Aber nie konnte jemand Angaben machen, wie und wann diese Erfolge zustande gekommen waren - mit Erfolgen meine ich hier die Wiederansiedlung von Tieren in eben diesen Teichen und Gärten. Als Biologe, Naturfreund und Naturfotograf ließen mir unbestimmte Angaben keine Ruhe und so beschloss ich, irgendwann einmal einem solchen Teich buchstäblich auf den Grund zu gehen. Die Gelegenheit ergab sich in einem der vergangenen Sommer, als ich von der Fertigstellung eines Teiches, nicht weit entfernt von meinem Wohnort, erfuhr.

Der hier beschriebene Teich im dritten Jahr seines Bestehens

 

Der Gartenteich lag in einem hübschen Garten "hinterm Haus" und hatte die Größe eines normalen Wohnzimmers, seine tiefste Stelle betrug 2 in. Als ich den Teich zum ersten Mal sah, war er vollkommen fertiggestellt und bereits mit den wichtigsten Pflanzen bestückt. Frischwasserzufluss gab es aus der städtischen Leitung Ich möchte nicht beurteilen, ob dieser Teich ideai und wirklich fachmännisch gestaltet war, aber er sah naturnah aus und würde sich in den Folgejahren wohl noch natürlicher gestalten. Seine Lage war für die Selbst- und Wiederbesiedlung früher hier ansässiger Tierarten wie geschaffen, denn rundum gab es noch die ursprüngliche Landschaft mit Hecken, Gebüschen und kleinen Waldstücken.Was war in diesem Garten und in den benachbarten Gärten bisher gesehen worden? Niemand konnte anderes angeben als "Singvögel, Insekten, Schmetterlinge, Ungeziefer, Wühlmäuse und Maulwürfe". Das Interesse an Tieren, das das an Blumen und Pflanzen ja nicht verdrängen muss, begann erst zu wachsen und zu gedeihen. Hatte es überhaupt einen Sinn, gerade hier umfassende Beobachtungen zu machen? Es hatte - wie man beim Lesen des folgenden Protokolls erleben wird ...

Teichmolche

Herbst des ersten Jahres

Der Teich geht in den Winter und sieht insgesamt noch recht jungfräulich aus. Letzte Mücken tanzen über ihm, die Vogelwelt hat ihn im Sommer zum Trinken entdeckt, am flachen Rand auch zum Baden. Trotz aller Aufmerksamkeit aber ist von neuem Leben, wie ich es hier erwarte, in ihm nichts zu entdecken. Doch darf mich dieser Zustand nicht abhalten, hier ab nächstem Frühjahr besonders aufmerksam das Weitere zu verfolgen.

Das zweite Jahr

März

Ein "Alarmruf" lässt mich Ende des Monats herbeieilen: Im Teich "soll sich etwas bewegt haben", etwas Längliches, aber kein Fisch. Ich tippe sogleich auf "Molch" und setze mich auf meinem Feldstuhl am Ufer an. Molche müssen zum Atmen an die Oberfläche kommen; sie stoßen sozusagen von unten her durch die Wasserlinie und holen sich eine Maulvoll Sauerstoff. Da sie sehr gut sehen können und scheu sind, geht das blitzschnell vor sich und volle Konzentration beim Blick aufs Wasser ist notwendig, um den Vorgang erkennen zu können. Bei klarem Wasser und günstigem Sonnenstand kann man die Molche rechtzeitig aufsteigen sehen. Eine ganze Stunde dauert es jetzt, ehe ich einen zu sehen bekomme, und bei seinem zweiten Luftholen fange ich ihn mit dem Käscher und bestimme ihn: wie erwartet ein Teichmolch, Triturus vulgaris, ein Männchen. Fünf Stunden weitere Beobachtungen bringen Folgendes: Es sind mindestens drei Molche im Teich, der wohl der Ort ihrer Hochzeit werden soll; einige Stichlinge schwimmen ebenfalls umher. Es ist noch bitter kalt, das Eis erst seit acht Tagen geschmolzen - und doch sind die Tiere schon aktiv! Ihr Herkommen? Die Molche können nur eingewandert sein, denn sie sind eine Zeitlang im Jahr auch Landtiere. Über die Stichlinge muss man rätseln; ihr Laich könnte von Enten eingeschleppt worden sein, die sich hier manchmal sehen lassen.

Mai

Das Wasser des Teiches hat sich erwärmt. Mit den steigenden Temperaturen haben sich Wasserinsel,ten eingefunden: Taumelkäfer der Gattung Gyrinidae und der Schnellschwimmer, Agabus bipustulatus. An umgeknickten Blättern unter Wasser finde ich einige Eier der Molche. Ende des Monats "rutschen" die ersten Wasserläufer, Gerris lacustris, über die freie und ruhige Wasserfläche.

Mitte Juli

Die Teichmolche fangen an auszusteigen und sich auf dem Land herumzutreiben. Ich biete ihnen eine Steinplatte als Unterschlupf an und finde sie an einigen späteren Tagen unter ihr den Tag verdösen, wenn er heiß und trocken ist. Ein fetter Gelbrandkäfer, Dytiscus marginalis, rudert durch den Teich und macht Jagd auf Stichlinge, Kleininsektin und Molchskinder. Der lang erwartete und auch ersehnte Libellenbesuch findet nun statt: Die mittelgroße Vierfleck-Libelle, Libellula quadrimaculata, und die prächtige Aeschna cyanea, unsere größte Libelle. Elegant und rasant überfliegen sie das kleine Teichrevier, jagen Insekten und ruhen bei l-,ühle an Pflanzenstängeln. Wenige Tage später beobachte ich ihre Eiablage auf der Wasseroberfläche. Allerdings sind ihre Larven ziemlich räuberisch und dezimieren auch junge Stichlinge, Kaulquappen und die jungen Molche. Doch gehören sie zur Lebensgemeinschaft eines Teiches.

August

Die Anzahl der Stichlinge hat stark zugenommen, auch Bachflohl-rebse und winzige, schlecht bestimmbare Larven bevölkern den Teich. Sie sind allesamt Indikatoren für die gute Wasserqualität, aber wegen der geringen Regenfälle scheint es notwendig, dem Teich Frischwasser zuzuführen. K ünstlich angelegte Teiche ohne direkten Kontakt zum Erdreich unter ihnen drohen eher zu "kippen" als natürlich gewachsene.

Oktober

Bei der Beobachtung der flachen Uferstellen sehe ich junge Teichmolche an Land steigen. Sie sind unendlich zarte, durchscheinende Geschöpfe, hellbraun. Sie krabbeln umständlich durch die niedere Vegetation auf der Suche nach Verstecken. Mir ist klar, wie leicht sie hier Opfer der überall herumstöbernden Schwarzdrosseln werden können und so helfe ich ihnen ein wenig, aus deren Blickwinkel zu kommen.

Bilanz des zweiten Jahres

Das erste volle Jahr ist - auf den Teich bezogen äußerst erfolgreich angelaufen. Das Auftauchen der Stichlinge wird denjenigen Stockenten zugeschoben, die hier kurz Station machten; sie bringen wohl den Fischlaich oder kleinste Fische im Gefieder mit sich. Logisch, dass die mobilsten Tierarten zuerst kamen - unter den Molchen gelten Teichmolche als die wanderfreudigsten.

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Bergmolch                                              Kammmolch

Das dritte Jahr

März

Wieder sind es "meine" Molche, die, unter klarer und dünner Eisdecke balzend, das neue Leben ankündigen. Und sie haben Gesellschaft bekommen: Erdkröten und Grasfrösche. Man weiß ja von Erdkröten, die den Winter an Land verbringen, dass sie immer wieder ihre Geburtsgewässer aufsuchen, um zu laichen: Diese Angewohnheit scheint aber variabel zu sein und sich den Umständcn anpassen zu können. Grasfrösche aber überwintern am Grund von Gewässern und sind verloren, wenn das Eis bis zu ihnen vordringt. Insgesamt drei Grasfrösche, Rana temporaria, und vier Erdkröten, Bufo bufo, balzen von Ende März bis zum 10. April, oft durch- und übereinander. Ihre Laichballen und langen Laichschnüre nehmen einen Quadratmeter der Wasserfläche ein.

Ende April

Die Stichlinge paaren sich, Kaulquappen der Erdkröten und Grasfrösche paddeln zu Tausenden im Teich, ihre Eltern sind längst an Land gegangen. Wo Beute ist, sind auch die Nutzer: ßelbrandkäfer und Libellenlarven räumen unter den Kaulquappen auf. Über einen hellen Stein, den ich in Ufernähe unter Wasser platziert habe, kriechen Larven der Köcherfliege, Limnophilus flavicornis. Auch sie sind ein Zeichen, dass die Wasserqualität in Ordnung ist.

Juni

Wasserläufer und Taumelkäfer sausen übers Wasser. Die Kaulquappen haben sich zu Landtieren verwandelt und sind in den Garten und in die umliegenden Anlagen ausgeschwärmt - nur wenige von ihnen haben die Chance, erwachsen zu werden. Die Libellenarten vom Vorjahr haben sich eingefunden und mit ihnen eine neue Art, die eigentlich an Fließgewässern. zu Hause ist: das prachtvolle blaue Männchen der Wasserjungfer, Calopterix splendens. Wohl in Ermangelung einer "Jungfer" ist es nach wenigen Tagen wieder verschwunden. Für die Wärmetage des Juli und August wird an den Teich ein kleiner Springbrunnen gesetzt, dessen versprühendes Wasser auch den Vögeln des Gartens zugute kommt. Das Temperaturgefälle im Teich beträgt mehr als 10 'C, von 25 'C oben bis 14 'C unten im Schlamm.

September und Oktober

Zum zweiten Mal seit Bestehen des Teiches steigen Jungmolche an Land. In den Schächten vor den Kellerfenstern des nahen Wohnhauses werden abgestürzte junge Grasfrösche, Erdkröten und Molche gefunden und in Freiheit zurückgesetzt; solche Fallgruhen müssen gesichert werden!

Bilanz des dritten Jahres

Es ist sicher, dass im zweiten vollen Jahr im und um den Teich ein ganz neuer Lebensraum entstanden ist. Nicht nur für seine direkten Bewohner: Zum Trinken und Baden erscheinen die üblichen kleinen Singvögel und auch die größeren wie Elstern, Eichelhäher, Tauben; ja sogar Bienen, Wespen und Hornissen tippen kurz das Wasser an, um zu trinken. Von den Säugern kommen Eichhörnchen, Igel und Mäuse. Wer Geduld für lange Beobachtungsansitze aufzubringen vermag, wird durch neue Erkenntnisse und spannende Einblicke belohnt.

 

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Erdkröten, Bufo bufo                                                                   Grasfrosch

 

 

Das vierte Jahr

März

Die pünktlich eintreffenden Molche erregen kaum noch Aufmerksamkeit - doch, da blitzt es orangefarben auf! Mein Käscher zieht einen Neuling ans Licht: einen Bergmolch, Triturus alpestris. Sein Name täuscht etwas, denn auch im Flachland liegen seine Reviere; aber wo mag er hergekommen sein? Ende des Monats ist auch der erste Kammmolch, Triturus cristatus, ein prächtig gefärbtes Männchen, im Wasser zu entdecken. Damit sind hier bis auf den Fadenmolch alle Molcharten vertreten.

April

Natürlich sind auch die Hochzeiter des Vodahres wieder zur Stelle, erfreulicherweise um einige Paare vermehrt. Erdkröten und Grasfrösche quaken ja nicht, sie murren und knurren verhalten, so dass nachbarliche Störungen wie beim Wasserfrosch nicht auftreten können. Die Stichlinge bilden richtige kleine Schwärme, müssen es aber hinnehmen, dass immer mehr Gelbrandkäfer, Libellenlarven und Wasserskorpione unter ihnen gehörig aufräumen.

Mai

Ein "Neueinsteiger" ist aufgetaucht: ein paar Wasserfrösche, Rana esculenta, verschiedenen Alters. Sie können zwar wie ihr Vetter Grasfrosch auch über Land wandern und tun das auch, wenn ihr Wohngewässer mal austrocknen sollte, aber dennoch stehe ich hier vor dem Rätsel ihrer Herkunft. Sie können ein nachbarliches Problem werden, wenn sie mit ihrer lautstarken, weithin hörbaren Quakerei beginnen; leider sind hierüber bereits Prozesse geführt worden. Verschiedene Wasserschnecken kriechen im ihnen angemessenen Tempo über Steine, Holzreste und Pflanzenstängel.An einem ruhigen Abend lässt mich leises "Glockengeläut" hochfahren, zur Taschenlampe greifen und näher ans Ufer treten. Das kann doch nicht wahr sein! Eine Gelbbauchunke, Bombina variegata, dümpelt breitbeinig im Wasser und schickt ihren zart klingenden und wohltönenden Balzruf in die Dunkelheit. Qiese Entdeckung ist der Höhepunkt des Jahres und eigentlich auch der ganzen Entwicklung dieses Teiches. Doch es kommt noch besser: Auf einem Schilfblatt des Ufers entdecke ich den "großen Stillsitzer" unter unseren Freunden, einen Laubfrosch, Hyla arborea. Er geht ja nur zum Balzen und Laichen ins Wasser.

 

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Auch für den Wasserfrosch, Rana esculenta, scheint ein
vielleicht sogar rettender - Kopfsprung ins kühle Nass das reinste Vergnügen zu sein.

Die Gesamtbilanz des protokollierten Zeitraums

Bezogen auf diesen winzigen Anteil unseres blauen Planeten hat in diesem "Mikro-Mini-Biotop" doch Umwälzendes, fast Sensationelles stattgefunden! Es ist bewiesen worden, dass Wiederansiedlungen von Tierarten immer noch eine Chance haben, wenn ein "harter Kern" dieser Arten irgendwo ausgeharrt hat und nur darauf wartet, sich auszudehnen, abwandern zu können und neue Möglichkeiten wahrzunehmen. Diese Möglichkeiten bieten unsere Gärten, ob groß oder klein, ob zum Nutzen oder zur Zierde angelegt. Wasser ist der Ursprung allen Lebens. Nutzen wir es vernünftig und im Interesse auch "unbedeutend" erscheinender Tierarten, wo wir es können und mit wenig Aufwand auch schaffen.

Die weiteren Aussichten dieses Teichs? Wenn es gelingt, seine Qualität zu erhalten und auch die des umliegenden Gartens, der benachbarten Gärten auch, dann kann er das Zentrum einer ausgreifenden Neubesiedlung durch vorher verschollene Tierarten werden und bleiben. Wie vieles andere ist dies auch eine Frage des fortdauernden Interesses und des guten Willens der betroffenen Menschen.

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Gelbbauchunke


aus " Das Aquarium" 8/02 Seite 2 ff.
Mit freundlicher Genehmigung des Schmettkamp Verlags.



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